Freitag, 21. März 2014

Aufreger der Woche #4 - Germany's next Topgurke

Die Gurken, die ich kenne, sind gerade - ganz egal, ob ich sie in Kiel oder in Freiburg kaufe. Da liegen zwanzig Klon-Gummern aufgereiht nebeneinander und übereinander, stramm wie Soldaten, gleich lang, gleich dick, gleich grün.
So passen sie alle ins Schächtelchen - sagt der Mitarbeiter im Supermarkt.
So muss ich nicht lange wühlen und mir die größte raussuchen - sagt die Kundin.

Tomatige Idealmaße

Dass für beinahe jede dieser Gurken eine andere ihr Leben lassen musste, steht an den Preischildern nirgends. Fakt ist aber, dass Millionen Tonnen Obst und Gemüse auf dem Feld liegen bleiben, an Tiere verfüttert oder anderweitig verarbeitet werden, ehe es überhaupt in Reichweite eines Supermarktes oder zumindest eines Großhändlers kommt. Gründe dafür kann man in mehrseitigen PDFs der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung nachlesen - die Normen wurden glücklicherweise stark ausgedünnt, schreiben aber immer noch für viele landwirtschaftliche Produkte strikte Eigenschaften vor. Einerseits gut, um etwa angeschlagene oder von Schädlingen befallene Waren zu vermeiden, andererseits aber auch schlecht, weil diese Richtlinien keine Ausreißer zulassen. Wer zu groß, zu klein, zu krumm, zu knubbelig, zu sonderbar ist, fliegt.


Die Natur denkt sich verdammt wenig dabei, wenn sie herzförmige Kartoffeln, siamesische Erdbeeren oder ringelschwänzige Gurken wachsen lässt. Wenn ich in meinen Garten schaue, sehe ich überall solche "Anderlinge", die so gar nichts mit ihren perfekten Verwandten aus dem Supermarkt zu tun haben. Beiße ich in einen Apfel, der krumm und schief gewachsen ist, schmeckt er genauso (oder sogar noch besser, da alte, nicht überzüchtete Sorte) wie sein Kollege, der in blauen Plastikmulden liegt und seinen wachsigen Überzug im Kunstlicht schillern lässt.

Die schicke Hässlichkeit

Mit einer Studienarbeit machten vor geraumer Zeit drei Studenten auf die sogenannten Ugly Fruits aufmerksam - ein Versuch, mit charmant scheußlichem Gemüse und flotten Sprüchen die Leute aufzurütteln. Eine Idee mit Stil und Humor statt mit erhobenem Zeigefinger.


Das hässliche Entlein - Die neue Marke

Aber: Es wird umgedacht. Bereits letztes Jahr wurden einige Kampagnen angestoßen, um den Kunden scheinbar hässliches Gemüse wieder näherzubringen. Unter verschiedenen Markennamen präsentierten Geschäfte wie Rewe oder Edeka Obst und Gemüse, das "etwas aus der Norm gefallen" ist, und machen damit darauf aufmerksam, dass gutes Aussehen nicht zwangläufig guten Geschmack und Qualität versprechen (ein paar Infos dazu in der Wirtschaftswoche).

Einen Wermutstropfen hat die ganze Geschichte natürlich auch: Statt den Kunden daran zu gewöhnen, das hässliche Gemüse als normal zu betrachten, wird es als Marke eingeführt, die seine Andersartigkeit nur noch verstärkt - die Krönung zum Narrenkönig im Supermarkt statt Integration im Apfelkorb. Außerdem wird nur ein geringer Prozentsatz des Gemüses zum "Wunderling" gekürt, der Rest wird weiterhin auf andere Weise verarbeitet - die ganze Aktion ist also mehr Herzensangelegenheit als wirtschaftliche Maßnahme.

Neuer Zukunftstrend in Sicht?

Trotz allem ist es ein Schritt in die richtige Richtung, finde ich. Nach jahrelanger Gewöhnung an die Perfektion in der Obst- und Gemüseabteilung ist es ein angenehmer, eigentlich auch natürlicher Anblick, mal eine krumme Gurke oder dreibeinige Möhre zu sehen. Edeka gibt zwar zu, dass die Aktion vom Kunden durchaus angenommen wurde, aber zum Teil wohl auch wegen des niedrigeren Preises der "Wunderlinge". Weitere Aktionen seien also allerhöchstens saisonal denkbar, aber nicht die Regel.

Schade eigentlich. Bleibt zu hoffen, dass die Aktionen öfter und länger angeboten werden. Verdient hat es das Gemüse ja.

2 Kommentare:

  1. Sehr schöner Beitrag, ganz mein Geschmack! Übrigens hat auch in Österreich der Handel auf die Aktion des Bundesministeriums "Lebensmittel sind kostbar" reagiert und man bekomme "Wunderlinge" als Marke zu kaufen. Leider werden vor allem Kartoffeln und Äpfel angeboten, mehr habe ich noch nicht gefunden.

    In meiner Kindheit war es üblich "Klasse 1" und "Klasse 2" mit preislichen unterschieden am Markt zu verkaufen.

    lg
    Maria

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    1. Hallo Maria,
      ich dank dir! Richtig, über diese Wunderlinge habe ich auch gelesen. Auf manchen Märkten in meiner Region gibt es Äpfel mit "Schalenfehlern", die man für etwa 70 Cent das Kilo kaufen kann. Anderes Obst und Gemüse habe ich bisher auch noch nicht entdeckt.
      VG, Saranesu

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